„Ich verlasse mich auf meine Fähigkeiten. Und die haben wir alle!"
Digitalministerin Judith Gerlach im Interview
2013 zog Judith Gerlach als jüngste Abgeordnete für die CSU in den Bayerischen Landtag ein. Nach ihrer erneuten Wahl in den Landtag wurde sie 2018 Bayerische Staatsministerin für Digitales und baute ein komplett neues Ministerium auf. Im Zuge unserer Interview-Reihe RoleModels stand die junge Frau, Staatsministerin und Mutter dem Golden ZONTA-Club Aschaffenburg Rede und Antwort.
Neue Wege und Herausforderungen
Mit dem absolvierten Jura-Studium ging die gut geplante Zukunft für Judith Gerlach lange Zeit ganz klar in Richtung Anwältin. 2018 bekam ihr Weg mit der Vereidigung zur Bayerischen Digitalministerin schließlich eine Wendung, die, wie sie zugibt, nicht ganz geplant war, jedoch „das Beste, was [ihr] passieren konnte." Aus dem Nichts baute sie mit ihrem Team ein eigenes Ministerium für Digitales auf. Eine Leistung, mit der die junge Frau viele Politiker vor sich in den Schatten stellte.
Doch zu Beginn stieß sie nicht überall auf ein warmes Willkommen. Einerseits wurde ihre fachliche Eignung infrage gestellt. „Digitalisierung ist doch gar nicht ihr Spezialgebiet..." hieß es aus der Presse. Ehrliche Antworten der gelernten Juristin stießen auf Unverständnis. Doch wie viele Politiker arbeiten ihr Leben lang in dem Fachbereich, in dem sie ihr Studium absolviert haben? Frau Gerlach kann klar sagen: Es kommt auf ein schnelles Einarbeiten an – Engagement dafür zeigen, Neues zu lernen, und sich mit Experten austauschen. Auch heute, wo die Staatsministerin ganz genau weiß, wovon sie bei Digitalisierung spricht, ist eine ordentliche Vorbereitung ihr A und O – auch bis in die Nachtstunden.
Auf der anderen Seite erfährt sie auch, dass sie als Person, als junge Frau, hinterfragt wird. Dem despektierlichen Prinzip der großväterlichen Ratschläge steht sie mit Humor gegenüber. Eine zickige Reaktion führt in ihren Augen zu nichts, aber einfach hinnehmen möchte sie einige Bemerkungen keinesfalls. Mit ein wenig Ironie entlarven sich herablassende Hinweise ihrer männlichen Kollegen meist von selbst. Judith Gerlach sieht es sportlich, aber anstrengend sei es durchaus, immer aufs Neue erst von sich überzeugen zu müssen, „um [...] bei dem andern auf Augenhöhe zu sein." Abgesehen von Frau Gerlachs Erfahrungen ist es auch im Wahljahr klar zu sehen: Frau Baerbock wird zuweilen ihre Kompetenz für das Bundeskanzler-Amt abgesprochen, da sie ja keine Regierungserfahrung habe – und dann hat sie auch noch Kinder! Würde man einen Mann derart hinterfragen?
Erweiterte Perspektiven durch die Medien
Das wohl wichtigste Thema der Ministerin ist die Digitalisierung. Frau Gerlach sieht in ihr die Chance, alte Systeme auf den Prüfstand zu stellen, bewährte Verfahren zu optimieren und die ganze Bandbreite der Bürgerschaft anzusprechen. Digitalisierung hat nicht nur mit Hard- und Software zu tun. Nein, für sie geht damit auch ein Umdenken in der Gesellschaft einher. „Wenn man Fortschritt möchte, muss man sich auch auf Fortschritt einlassen!", so die Staatsministerin. Sie bringt die Implementierung einer Entwicklungskultur auch im Staat an. Anfang des Jahres beispielsweise ging die „Bayern-App" online, über die der Gang zum Rathaus digital erledigt werden kann. Von Anfang an war hier klar: Nicht jede Gemeinde wird vom ersten Tag an bereits ausnahmslos alle Verwaltungsservices digital zur Verfügung stellen können. Bemängelt wurde also, dass die App noch nicht zu 100% vollständig alle Angebote vorweisen kann. Doch ist es nicht sinnvoller, das Netz sukzessive auszubauen? Eine Fehlerkultur, wie sie in der Industrie von vielen StartUps praktiziert wird, kann sich der Staat im gleichen Maße meist nicht leisten, doch nur wo Raum für neue Ideen und eine Bereitschaft für gewisse Rückschläge vorhanden ist, können sich die alten Verfahren weiterentwickeln. Bis Ende des Jahres sollen die 55 wichtigsten Verwaltungsdienstleistungen digitalisiert sein. Denn je mehr Möglichkeiten es biete und je einfacherer der Umgang damit für ihn ist, desto attraktiver sei das Angebot schließlich für den Bürger.
Des Weiteren sieht Frau Gerlach in den digitalen Medien auch den Zugang zur gesamten Bevölkerung. In einem Umdenken im Umgang mit Medien sieht die Staatsministerin auch die Möglichkeit für ein Umdenken in der staatlichen Führungskultur. Indem man „junge Menschen auch Verantwortung übernehmen lässt" und sich dafür einsetze, hierarchische Strukturen abzubauen, könnten attraktive Arbeitsplätze gerade für junge Leute geschaffen werden. Kinder möchte die Digitalministerin über Sensibilisierungsangebote beim Lernen unterstützen, mit den digitalen Medien umzugehen. Einerseits bieten Apps und Lernplattformen einen spielerischen und interaktiven Zugang zu Lerninhalten. Andererseits birgen gerade die sozialen Medien jedoch neue Gefahren, mit denen auch Digital Natives nicht selbstverständlich vertraut sind: Cybermobbing, Gewaltvideos, pornographische Inhalte und anonyme Betrüger sind Bedrohungen, über die Aufklärung betrieben werden muss. Zur Unterstützung der Eltern liefen auch Kampagnen gemeinsam mit dem Innenministerium. Für die ältere Generation hingegen sieht Frau Gerlach in digitalen Technologien die Möglichkeit, mehr Teilhabe zu erlangen. Heutzutage stünde aufgrund der besseren Bedienbarkeit nicht mehr das mobile Endgerät selbst im Wege und das Staatsministerium für Digitales erarbeite derzeit Konzepte, um ältere Menschen beim Umgang mit den digitalen Medien entsprechend zu unterstützen.
Von RoleModels und Engagement
Auf unsere Fragen, wie junge Menschen – gerade junge Frauen – dazu bewegt werden können, ihren eigenen Weg zu gehen und sich vielleicht auch politisch zu engagieren, hat Frau Gerlach konkrete Vorschläge. Für besonders wichtig hält sie Vorbilder. Nur Wenige trauen sich, oder kommen überhaupt auf die Idee, etwa einen Beruf zu ergreifen, in dem sie niemanden kennen, mit dem sie sich identifizieren. Umso wichtiger sind Identifikationsfiguren in allen Sparten; sei es in Bezug auf die Berufswahl, in der Politik oder im Umgang mit digitalen Medien. Wenn man konkret etwas verändern möchte, gehe der Weg am besten über eine Partei oder Wählervereinigung, so die Staatsministerin. Punktuell könnten konkrete Ziele auch über ein Bürgerbegehren erreicht werden, doch wer Politik gestalten möchte, solle sich mit den Parteibildern auseinandersetzen und diejenige finden, mit deren Meinungen sich die größte Schnittmenge finden lasse.
Sprache schafft Wirklichkeit!
Als Club, der sich besonders mit der Stellung von Frauen in der Gesellschaft beschäftigt, wollten wir von Frau Gerlach schließlich noch wissen, wie sie der Debatte um Änderungen zur genderneutralen Sprache im Grundgesetz gegenüberstehe. Die Ministerin selbst bemüht sich grundsätzlich darum, beide Geschlechter anzusprechen und steht Umformulierungen offen gegenüber. Die „Hauptpriorität" sieht sie darin jedoch nicht, da der Artikel drei des Grundgesetzes Gleichberechtigung unbestreitbar als Grundrecht festsetze. Viel wichtiger finde sie, „dass es in den Köpfen der Menschen ankommt, dass man sensibler mit Sprache umgeht, und Menschen dadurch nicht ausschließt."
Zukunftspläne?
Zum Schluss wendet sich der Blick auf die persönliche Zukunft der Staatsministerin. Wichtig ist ihr ganz klar, ihre Familie – trotz des 7-Tage-Jobs der Politikerin – nicht aus den Augen zu verlieren, und gesund zu bleiben. Fachlich hat sie offenkundig viele Pläne, aber was sie beruflich erwartet, da lässt sie sich überaschen. Durch den Wurf ins kalte Wasser, als sie Ministerin wurde, habe sie gelernt, zu schwimmen – motiviert zu bleiben und Durststrecken zu überstehen. Und so steht sie offen dem gegenüber, was die Zukunft für sie bereithält: „Ich verlasse mich auf meine Fähigkeiten. Und die haben wir alle!"