Aus Aschaffenburg in den hessischen Landtag: Angela Dorn ist seit 2019 Ministerin für Wissenschaft und Kunst. Warum sie damit eine große "Beschützerin der Freiheit" ist, wie ihr Studium der Psychologie ihr in der Politik weiterhilft und wie Diversität ihren Alltag bereichert, erzählte sie im Interview mit dem Golden ZONTA-Club Aschaffenburg.
AUS DER FORENSIK IN DIE POLITIK
Seit der neunten Klasse war es Angela Dorns klarer Plan, Psychologin zu werden. Der NC wurde erarbeitet, das Studium durchgezogen. Doch mehr und mehr bewegte die junge Frau, was in der Welt schief lief. Engagiert war sie schon immer, doch immer mehr wuchs das Bedürfnis, direkter etwas bewegen zu können. So startete sie im Kommunalparteitag in Marburg im Bündnis 90 Die Grünen. Nach dem Studium - Dorn arbeitete inzwischen in der forensischen Psychiatrie - dann die große Überraschung: Die Grünen bekommen in der Landtagswahl mehr Prozente als erwartet und Angela Dorn kommt in den hessischen Landtag. Eine Erfahrung, die sie so schnell nicht vergessen wird; selbst ihr damaliger Chef war kurzzeitig sprachlos. Die Beobachtungsgabe für Situationen und Personen, die sie in der Psychiatrie geschult hat, hilft ihr auch in der Politik. Heute ist sie für alle hessischen Hochschulen von Uni bis Kunsthochschule wie auch Bibliotheken, Stadtkulturwerke bis hin zu Chören verantwortlich. Ein vergleichsweise kleines Resort ist es, das Frau Dorn leitet, doch besonders durch den Wissenschaftssektor das teuerste nach dem Kultusministerium. Das mache sie nicht zur beliebtesten Ministerin in den Haushaltsdebatten, scherzt sie. Doch "Bildung ist zu Recht eine Investition in die Zukunft." sagt sie und gibt zu bedenken, dass eine ihrer wichtigsten Aufgaben als Ministerin die Wahrung der Rahmenbedingungen für Freiheit ist. Warum? "Ohne Forschungs- und Kunstfreiheit wäre unsere Demokratie sehr arm."
CHANCENGLEICHHEIT UND DIVERSITÄT
Mit inzwischen 40 Jahren sei Frau Dorn das Kabinettsküken. Und wenn sie in ihrem Ministerium auf eine sehr diverses Umfeld setzen kann, musste auch sie in mancher Situation die "gläserne Decke" spüren, die sie als junge Frau in einer Führungsposition einschneiden hätte können. Doch wo einige ihr weiterhin mit Vorurteilen begegnen, nimmt sie den Großteil ihrer Kollegen als sehr offen wahr. Es sei aber wichtig, in "beiden Welten agieren zu können", sagt sie. Wenn sie heute Bewerbungsprozesse leite, müsse sie ihre Kollegen beim Kommentar "Die Person ist doch noch so jung, die kann doch noch gar nicht die nötige Erfahrung haben!" des Öfteren verschmitzt daran erinnern, dass sie selbst als Ministerin noch jünger sei, als die Person, die sich gerade bewirbt - das funktioniere also durchaus. Frau Dorn selbst macht sich für eine Chancengleichheit für alle stark. Verschiedene Bildungshintergründe, Sexualitäten, Herkünfte und Geschlechter nehme sie als unglaublich fruchtbar wahr, gerade um von diversen Perspektiven und ehrlichem Feedback profitieren zu können. Außerdem müsse man das gesamtgesellschaftliche Potential sich unbedingt entfalten lassen: Die Herausforderungen unserer Zeit seien enorm, die Krisen mannigfaltig. "Wir können es uns gar nicht leisten, auf einen Teil der Gesellschaft zu verzichten!" Die Kompetenz ausnahmslos aller nicht zu nutzen, führe gerade in der Wissenschaft zu nichts anderem als einem Wettbewerbsnachteil.
"MIT JUNGEN FRAUEN IST ZU RECHNEN."
Wir haben die Ministerin nach Ratschlägen gefragt, die sie jungen Frauen geben würde, die Führungspositionen anstreben. Als wichtigsten Aspekt betont sie, Personen zu finden, mit denen man ehrlich sprechen kann. Menschen, die einem Halt geben, um in verletzenden Situationen Fassung bewahren zu können, aber auch Menschen, die einem klar ins Gesicht sagen "Das hast du früher nicht gemacht.". Frau Dorn ist eine sehr reflektierte Person und hat daher durchaus festgestellt, dass die Politik sie verändert, hartnäckiger gemacht hat. Außerdem sei es ihrer Meinung nach wichtig, sich auf die eigenen Stereotypen hin zu reflektieren und an sich selbst zu glauben. Die Strategien im Umgang mit Gegenwind sind vielfältig: Humor, ein klarer Kurs und Solidarität untereinander sind nur einige Beispiele. So gilt es, Chancen zu nutzen: Fachkräftemangel und aufweichende Strukturen können umso mehr Türen öffnen, großes Potential zu entfalten. Doch Angela Dorn gibt zu bedenken, dass es auf ein eigenes Tempo ankomme. Junge, kompetente Menschen müsse man manchmal vor einem ungesund schnellen Aufstieg bremsen. "Man muss sich nicht für jede Tür entscheiden", mahnt sie. Muss zu dem äußeren Druck, der ohnehin schon stark auf junge Menschen einwirkt, noch so viel mehr eigener Druck kommen, fragen wir uns? Und gerade bei jungen Frauen sieht Frau Dorn diese Tendenz: "Mein Gefühl ist, dass Frauen immer nochmal 20% mehr leisten wollen."
Ausgleich findet die dreifache Mutter besonders durch ihre Kinder und Unternehmungen mit Freunden und Familie. Die "kleinen Wunder" dieser Welt gäben ihr so die nötige Erfüllung für ein bewegtes Arbeitsleben. "Es ist total wichtig, dass ich noch ein Mensch bin, neben der Politikerin.", sagt die Ministerin. Dem Raum zu geben, habe sie von Anfang an zu beherzigen versucht. Gerade ein tiefes Vertrauen in ihr Team helfe dabei sehr. Denn wir sind uns einig: Eine der Kernkompetenz in einer leitenden Position ist die Fähigkeit, zu delegieren. Man muss nicht alles können! Im Gegenteil: Frau Dorn bezeichnet es treffend als "Königsdisziplin", zu erkennen, dass in manchen Bereichen die Kompetenz des anderen die eigene übersteigt, und diese Kompetenz nutzen zu wollen.
¼ FRAUENANTEIL IN HOCHSCHULPROFESSUREN
Einige Projekte liegen der Ministerin besonders am Herzen. Ihr Vor-Vor-Vorgänger etablierte die einzige Deutsch-hessisch-vietnamesische Hochschule. Das bilaterale Abkommen, in dem das Bundesland Hessen so dem Bund gleichgestellt ist, führte Angela Dorn so schon nach Vietnam. Weitere Projekte richten sich gezielt an Frauen in Wissenschaft und Kunst. Neben der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Mentor*innenprogrammen wurde erreicht, dass zumindest in Neuprofessuren 50% Frauenanteil besteht - im Gegensatz zum aktuellen Gesamtbild von rund einem Viertel Frauen als Hochschulprofessorinnen. Außerdem besteht inzwischen die Verpflichtung, bei der Besetzung freier Stellen, nachzuweisen, dass aktiv nach Frauen gesucht wurde.
Auch in der Kunst wendet sich das Blatt. Wo Abgänger*innen der Kunsthochschulen mehrheitlich Frauen sind, hängt doch die Aufmerksamkeit der Kunstwelt weiter an den Männern. Kennen Sie eine Komponistin klassischer Musik? Es gibt sie, und gab sie auch schon zu Zeiten von Beethoven oder Tschaikowski, nur sind sie in den Archiven der Musikgeschichte vergraben. Aktuellen Künstlerinnen sollen Förderprogramme, Netzwerke und Ausstellungsmöglichkeiten weiterhelfen.
Angela Dorn hat, so sagt sie, viele positive Entwicklungen in Richtung Gleichberechtigung erfahren können und gerade der Begriff crossgender leitet sie in ihrem Arbeitsalltag. Ein Hand in Hand einer ganzheitlich emanzipierten Gesellschaft! "Lassen Sie uns weiterhin gemeinsam unterhaken, um da ganz viel zu verändern!" Welch ein Schlusswort!
Februar 2023, Alina Renner