Schauspielerin Agnieszka Kleemann

© A. KleemannBestehen auf den Brettern, die Welt bedeuten

~ Schauspielerin Agnieszka Kleemann im Interview

Theaterbesitzerin, Theaterpädagogin, Schauspiellehrerin und jeden Abend jemand anderes, denn: Schauspielerin. Agnieszka Kleemanns Leben hat viele Facetten und mit harter Arbeit ist sie dort angekommen, wo sie heute ist. Der Werdegang einer Schauspielerin ist kein Spaziergang und der Konkurrenzkampf und die Behauptung als Frau in der Show-Welt "brutal". Im Zuge der Interview-Reihe RoleModels teilte sie ihre Erfahrungen, Höhen und Tiefen und die Leidenschaft am Theater mit dem Golden ZONTA-Club Aschaffenburg.

Die eigene Bühne

Agnieszka Kleemann leitet gemeinsam mit ihrem Mann Torsten das 12 Stufen Theater in Kleinostheim. Auf den 24 Plätzen im wohl kleinsten profesionellen Sprechtheater Deutschlands können ihre Zuschauer hier von Dramen über Krimis hin zu Komödien sowie Konzerten die Freuden der Bühnenkunst ganz nah erleben. 2013 haben die gelernten Schauspieler aus dem Keller ihr Theater gebaut und die intime Atmosphäre kam gut an. Bis heute haben die beiden sich einen konstanten Besucherkreis aufgebaut und diverse Höhen und Tiefen gemeistert. Nach OpenAir-Projekten, die diesen Sommer stattfinden sollen, hoffen die Schauspieler nach der langen Corona-Pause im Herbst/Winter wieder auf der eigenen Bühne stehen zu können. Doch auch abseits des Corona-Lockdowns stellt das eigene Theater die Kleemans vor Herausforderungen, mit denen ihre Kollegen weniger zu kämpfen haben. Die Verantwortung sticht für Agnieszka hier besonders heraus: Der angestellte Schauspieler spielt und bleibt gewissermaßen unbeeinträchtigt, wenn das Stück floppt. Für das 12 Stufen Theater sucht Agnieszka die Stücke aus, Torsten führt Regie und die beiden stehen mit ihren Kollegen selbst auf ihrer Bühne. Da trifft potenzielle negative Kritik natürlich besonders direkt. Denn ganz im Gegenteil zu einem schlechten Film im Fernsehen oder Kino bedeutet ein Theaterstück, das nicht gefällt, meistens, dass die Zuschauer nicht wieder kommen – auch wenn dies bei der Bandbreite an verschiedenen Stücken sicher nicht angemessen ist. Dran bleiben lautet deshalb die Devise für Agnieszka Kleemann.

Die Kehrseiten des Showbiz

Dran bleiben. Das ist vermutlich auch die Devise einer jeden Schauspielerin, die sich in ihrem Beruf zu behaupten weiß. Denn der Weg auf die Bühne ist kein Zuckerschlecken. Der größte Haken am Gesamtpaket Schauspielerin ist wohl, sich niemals sicher sein zu können. Der erfolgreiche Abschluss der dreijährigen Ausbildung ist noch lang kein Garant für eine anschließende augenblickliche Festanstellung. Und das obwohl, so ist sich Agnieszka Kleemann sicher, das Schauspiel mehr ein Handwerk als eine Kunst sei - 90% Handwerk, 10% Talent. Denn es gehört meist mehr dazu als die reine Bühnenpräsenz: Eine Schauspielerin muss Geschäftspartnerin, Diplomatin, Psychologin, Präsentatorin, Managerin und Künstlerin in einem sein. So kommt es, dass für Agnieszka und Torsten der wohl essenziellste Rat an alle angehenden Schauspieler der ist, den Beruf an einer staatlichen Schule zu erlernen. Hier sind die Aufnahmekriterien zwar besonders hart, doch gerade für Frauen sei dieser Weg besonders zu empfehlen. Denn neben handwerklichen Grundlagen – wie etwa der unbedingten Wertlegung auf Charakterfindung –, werden hier Schauspieler für den Markt gebildet. Die Schulen richten sich danach, wer aktuell gefragt ist und achten darauf, ihre Klassen zur Hälfte aus Männern und zur Hälfte aus Frauen aufzubauen. Denn ein Phänomen wird absolut deutlich: Es gibt wesentlich weniger männliche Anwärter an den deutschen Bühnen als weibliche. Die Konkurrenz unter Schauspielerinnen ist damit vorprogrammiert. Agnieszka erzählt sogar, dass sich explizit eher Freundschaften mit Schauspielern entwickelten, denn diese stellten keine direkten Mitbewerber dar. Was scherzhaft klingt, ist wohl zu großen Teilen die – wenn auch sehr spitz formulierte – unverschönte Wahrheit: "Wenn ein männlicher Schauspieler arbeitslos ist, dann ist er dumm oder faul!" Man führe sich die Stücke der großen Bühnen vor Augen: "Es gibt halt nur eine Lady Macbeth und ansonsten Männer."

Und doch: Auch wenn so die Schauspielerei auf dem Weg hin und wieder die Fünf-Satz-Rolle für sie bedeutete, Agnieszka sagt bis heute: "Ich möchte es nicht missen." Denn oft sind es nunmal auch nicht die zarten Elfchen, die für eine Charakterrolle besetzt werden. Die korpulente Brünette spielt die betrunkene Nachbarin und wird vom Publikum dafür gefeiert. Aber kann die Blondine, die mal wieder die Prostituierte spielt, es ihr übelnehmen, wenn sich die Brünette danach sehnt, auch mal die "junge Schöne" zu spielen? Selbstzweifel scheinen hier vorprogrammiert. Agnieszka macht nicht den Eindruck als habe sie je ernsthaft mit sich und ihrem Äußeren gehadert, doch verständlicherweise geht es an die Substanz, wenn man zuverlässig, textsicher und in Aussehen und Performace konstant ist, und am Ende doch wieder nicht zum Zug kommt. Die Entscheidung eines Regisseurs, wie die Kunst selbst, ist numal subjektiv und vielleicht nicht immer einleuchtend – unfair könnte man fast sagen. Im Zuge dessen verspüre man auch eine gewisse Ohnmacht gegenüber pauschalen Entscheidungen. Natürlich möchte man aufgrund seines Talents besetzt werden, doch später kommt vielleicht die Frage auf: Hat man möglicherweise diese spezielle Rolle nur bekommen, weil man schlicht ins Kostüm der Vorgängerin gepasst hat? Man kann es einfach nicht verhehlen: Schauspiel kann ein selbstzerstörerischer Job sein – Drogenabhängigkeit, Alkoholismus und Beziehungsstörungen sind kaum ungewöhnlich. Aber muss es wirklich soweit kommen? Gerade 2017 enthüllte die "#Me too"-Debatte ein Ausmaß dessen, wie diese Machtlosigkeit ausgenutzt werden kann. Doch Agnieszka Kleemann hat weder selbst noch im Umfeld Übergriffe oder Misshandlungen in diesem Ausmaß erlebt – welch Glück! Eher schmunzelte man mal hinter den Kulissen, wenn auf der Bühne eine Liebesszene ausgenutzt wurde. "Das habe ich aber beidseitig gesehen!", lacht sie. Doch gerade hier wirft sie die Frage auf: Muss man manche Dinge wirklich machen? Ist ein Job wirklich so wichtig, dass man absolut alles dafür macht?

Schauspieler als Überlebenskünstler

Für viele spielt hier das Thema Finanzen sicher eine große Rolle. Ganze 2% der deutschen Schauspieler können, so Agnieszka, ohne Nebentätigkeit von ihrem Beruf leben. Mit dem eigenen Theater gehört sie nun zu diesen 2%, doch das war nicht immer so. Nach der Ausbildung entschied sie sich, nach Köln zu gehen. "Das macht man halt so.", sagte sie sich, doch vom großen Erfolg in der Großstadt konnte nicht die Rede sein. Und nun? Sie kehrte zurück in die Provinz. Ein Rückschritt? Keinesfalls, denn hier gab es Jobs! Die Zeit in Köln hat Agnieszka gelehrt, dass man nicht einfach irgendwo hin gehen kann mit dem Motto "Ich bin jetzt da, gebt mir einen tollen Job!". Aber genauso, dass es keine Schande ist, zurück zu kommen. Sicherheit haben der jungen Frau damals ihre Eltern gegeben, aber auch auf die Frage, wie man mit der dauerhaften Unsicherheit umgeht, spricht sie sich für "Optimismus und Vertrauen in die Welt" aus. "Ich bin davon ausgegangen, dass diese Schauspieljobs irgendwann mal mehr werden. Ich bin davon ausgegangen, [...] ich muss was tun, ich muss Erfahrungen sammeln." Im Gegensatz zu den USA, wo Filmcastings offen für jeden sind, werden deutsche Castings in Film und Fernsehen von Schauspielagenturen betreut. Im Zuge dessen ist es – will man auf die große Leinwand – also ratsam, sich bei einer solchen Schauspiel-, nicht Castingagentur, zu bewerben. Diese nehmen viel Geld und Zeit in Anspruch, um eine ordentliche Vermittlung an neue Projekte zu gewährleisten: Eine perfekte Mappe mit hochprofessionellen Fotos und authentischem Demoband sind hier das A und O. Im Theaterbusiness lässt sich auch ohne Agentur Einiges erreichen – Kontakte braucht es dennoch.
Agnieszka wusste: Sich ein Netzwerk aufzubauen würde dauern, also würde sie auf unbestimmte Zeit zwischen Castings, Engagements und Nebenjobs pendeln. "Wenn man arbeiten will, kann man alles machen, solange man weiß: Es ist nicht für immer.", sagte sie uns. Im Kino an der Popcorntheke stehen, kellnern, auf Messen arbeiten, oder für einen Secruity-Service im Schießen mit einem 8mm Kaliber ausgebildet werden. Neben dem notwendigen Einkommen verliehen einem die Nebentätigkeiten auch eine gewisse Bodenhaftung. Auch im Bezug auf spezielle Stücke seien sich viele Schauspieler einfach zu fein: Kindertheater zum Beispiel. So wurden Agnieszka und Torsten Kleemann teils von ihren Kollegen belächelt, wenn sie im Aschaffenburger Märchentheater Kinderstücke in der Provinz spielten. Doch eines ist klar: In die Situation, dass man die Straße entlang läuft und ein Kind aus dem Fenster ruft "Mama, schau mal, da läuft das Rotkäppchen!", wird man in Berlin, Köln oder München nicht kommen.

Der Weg auf die Bühne

Doch wie geht man damit um, wenn der Traum von der großen Bühne sich nicht wie erhofft entfaltet? Für Agnieszka persönlich könnte der Grund sein, dass es für sie nie ein Traum war. Vielleicht war es für sie einfacher aus brenzligen Situationen heraus zu kommen, weil die Schauspielerei schlicht die "Umsetzung [...] einer Ausbildung" war. Gewissermaßen gegen die Vorstellungen der Eltern, die sie tatsächlich gern auf einer Schauspielschule gesehen hätten, war "auf die Bühne vor Menschen zu gehen ein absurder Gedanke" zu Schulzeiten. Doch als nach der Schule vergangene Berufswünsche wie Archäologin, Architektin oder kunsttherapeutische Heilpädagogin nicht mehr infrage kamen, began sie doch die Schauspielausbildung an der privaten Schauspielschule in Aschaffenburg. Möglicherweise gründet ihre Pragmatik also teils auch darin, dass die Schauspielerei nie ein "Hobby zum Beruf" oder die Verwirklichung eines Traumes hätte werden sollen. Auch wollte sie niemals einen Laden leiten, doch mit dem 12 Stufen Theater ist genau das geschehen. Heute sagt sie: "Das hat mich dazu geführt, dass ich mein Leben bestimme, dass ich ein Theater leite."

Absicherung als Künstler*in

Das Schauspieler-Dasein ist von Unsicherheit geprägt und sicherlich hatten die Kleemanns auch den Vorteil dessen, dass sie nur für sich selbst zu sorgen hatten. Wenn sie sich auch in Grenzen hält, so gibt es aber auch für Schausteller die Möglichkeit zur finanziellen Absicherung. Die Künstlersozialkasse agiert für freiberufliche Darsteller wie ein Arbeitgeber, zahlt also die Hälfte der Beiträge zur Rente, zur Krankenversicherung, usw.. Gleiches gilt seit einiger Zeit auch für die Bayerische Versorgungskammer. Bei einer Festanstellung – auch wenn diese immer seltener werden und normalerweise maximal drei Monate laufen – zahlt der Arbeitgeber wie gewöhnlich paritätisch die entsprechenden Sozialabgaben.

Die Leidenschaft für die Bühne

Zum Schluss wandte sich der Blick bei all den Strapazen, die es mit sich bringt, auf den Grund der Begeisterung am Theater. Neben ihren bisher liebsten Rollen und den Herausforderungen und Tricks, die sich beim Auswählen und Bewerben der Stücke im eigenen Theater ergeben, steht hier klar die Hoffnung auf das lang ersehnte Comeback auf die Bühne im Fokus. "Barbie schiess doch!!!" und "Die faulste Katze der Welt" haben lang darauf gewartet, sich dem Publikum präsentieren zu können. Vorerst als OpenAir-Veranstaltungen, soll im Herbst/Winter dann auch das eigene Theater wieder bespielt werden und das Stück "Die erfolgreiche Frau" seine Premiere bekommen. Wir werden dabei sein und drücken die Daumen!

https://www.12-stufen-theater.de/

Juni/Juli2021, Alina Renner