SkF und SEFRA

Foto: Pang P (CC0)

„Gewalt gegen Frauen kennt weder Lockdown, noch Abstandsregeln!"

Im Jahre 2019 waren laut polizeilicher Kriminalstatistik 114903 Frauen von Gewalt im Zusammenhang mit der Partnerschaft betroffen. In diese Statistik fallen Delikte wie Freiheitsberaubung, Vergewaltigung, gefährliche Körperverletzung ggf. mit Todesfolge und Zwangsprostitution. Doch auch was man gemeinhin als "häusliche Gewalt" bezeichnet, kennt noch weitreichendere Ausmaße als körperliche Gewalt und auch diese kennen weder Lockdown noch Abstandsregeln. Welche Formen der Gewalt gerade gegen Frauen gibt es, wie können Opfer und ihr Umfeld damit umgehen und wie wirkt/e sich die Pandemie auf die angespannte Situation aus? Der Golden ZONTA-Club Aschaffenburg hat sich bei SkF und SEFRA informiert.

SEFRA sowie der Sozialdienst kaltholischer Frauen (SkF) sind gemeinnützige Organisationen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Frauen in schwierigen Lebenslagen weiterzuhelfen. Eine Beraterin von SkF, die Erfahrung in der psychosozialen Einzelfallhilfe, Paar- und Familienberatung hat, und von SEFRA mit Notruf und Fachberatung bei Gewalt für Frauen ab 16 Jahren berichteten von ihren Erfahrungen und den aktuellen Entwickungen in der Thematik.

Vielen Frauen kämen mit einem Satz á la "Bin ich bei Ihnen überhaupt richtig? Ich werde doch gar nicht geschlagen." zum ersten Gespräch. In den Augen der Beraterinnen muss hier jede*r einzelne seinen Blick auf den Begriff Gewalt erweitern. Zu Beginn sei also klarzustellen, dass häusliche Gewalt nicht mit dem ersten Zuschlagen eines übergriffigen Ehemannes beginne. Zusätzlich zur körperlichen Gewalt zählen auch die sexualisierte, die soziale – z. B. die Isolierung von Freunden und Familie -, ökonomische – z. B. die Verwehrung des Zugriffs auf das gemeinsame Konto – und die psychische Gewalt dazu. Gerade psychische Gewalt sei keinesfalls zu unterschätzen: Durch die Unsicherheit und das Macht-Ohnmachtsgefälle, das durch Drohungen und Manipulation des Partners entstehen könne, eröffne sich eine Gewaltspirale, der die Opfer nur schwer wieder entkämen. Zusätzlich sei die psychische Gewalt natürlich für das Opfer am schwersten zu beweisen, für den Täter am leichtesten zu verschleiern und für Richter*innen am kompliziertesten zu beurteilen. Sätze wie "Wenn du gehst, rufe ich das Jugendamt, das dir dann die Kinder wegnimmt!", oder "Ohne mich an deiner Seite verweist die Polizei dich des Landes!" können von Gewalt betroffene Frauen verunsichern, sich Unterstützung zu suchen, und/oder sie von einer potenziellen Trennung abbringen. Gerade bei schlichter Unwissenheit, eben etwa über die Arbeit des Jugendamtes oder der Polizei. Hier leisten die Beraterinnen meist zuerst einmal Aufklärungsarbeit, um auf die Rechte aufmerksam zu machen, die einer Frau, die einem Menschen in Deutschland zustehen. Außerdem sei es mit einer Trennung meist nicht getan: 38% der Frauen, die von Partnerschaftsgewalt betroffen sind, seien bereits getrennt. Und die meisten Tötungs-delikte in diesem Zusammenhang geschähen während der Trennungsphase, so die Fachfrauen.

2801 Beratungen wurden von SEFRA im Jahre 2020 im Zusammenhang mit Gewalterfahrungen im Raum Aschaffenburg geführt. Jede Klientin mit ihrer eigenen Geschichte, ihren eigenen Problemen und Ängsten. Bei der Beratung sei es essentiell, auf die Hilfesuchende einzugehen, ihr Tempo mitzugehen und geduldig zu sein, auch wenn das besprochene Vorgehen vielleicht nicht umsetzbar war. "Druck haben sie selbst.", sagen die Beraterinnen, da brauche es keinen weiteren Druck, sondern Sicherheit. Die unterdrückten Frauen müssten sich wieder selbst als handlungsfähig entdecken. So ginge es darum, eine Lösung zu finden, die für die Betroffene mit ggf. ihren Kindern umsetz- und lebbar sind. Denn eines ist auch ganz klar: Etwaige Kinder sind immer mit betroffen. In einer Eskalation, einem Streit zwischen den Eltern, stehen sie allein da. Und leider sind die Kinder gewaltbereiter Eltern meist auch nicht weit davon entfernt, selbst zu Tätern bzw. Opfern zu werden.

Eine Traumatisierung oder ein verqueres Rollenbild können die potenzielle Folge einer gewaltgeprägten Kindheit sein. Dieses Risiko wiederum mache es manchen Müttern leichter, sich vom gewaltbereiten Partner zu trennen – zum Schutze des eigenen Kindes.Denn für einige Frauen ist das Ziel des Kontaktes mit den Hilfsorganisationen gar nicht die Trennung. Ja, für viele Frauen ist es auch schlicht und ergreifend ein Tabu, die eigenen Gewalterfahrungen als solche anzusehen. Nur "20% der von Gewalt betroffenen Frauen wenden sich ans Unterstützungssystem", noch weniger brächten ihr Anliegen zur Anzeige, so die Beraterinnen. Doch es sei wichtig, das Problem in Worte zu fassen, das Schamgefühl zu überwinden. Auch körperliche Übungen als Form der Befreiung würden bei SkF und SEFRA in die Beratung einbezogen.

2801 Beratungen in 2020, das waren trotz Corona und der Lockdowns kaum weniger Beratungen als im Jahr 2019, als die COVID19-Pandemie Deutschland zu großen Teilen noch nicht erreicht hatte. Doch welchen Einfluss hatte und hat das Virus auf die ohnehin schon angespannte Situation? Die Themen, mit denen sich die Klientinnen an die Hilfsorganisationen wendeten, seien die gleichen geblieben. Doch das hohe Stresslevel während der Pandemie fördere ebenso das Gewaltlevel und Eskalationen in kritischen Situationen. Unter Strom stehende Mütter durch HomeSchooling, der gewalttätige Ehemann dauerhaft zuhause und kaum Möglichkeiten, raus zu kommen. So sei es es gekommen, dass sich Frauen wieder bei den Beraterinnen meldeten, deren Beratung bereits als abgeschlossen angesehen war. Besonders Folgeberatung und Krisenintervention hätten deshalb auf der Tagesordnung der Unterstützerinnen gestanden. Doch auch die direkte Beratung neuer Klientinnen und das Notfalltelefon seien natürlich dauerhaft in Anspruch genommen worden. Doch hier bringt die Pandemie neue Herausforderungen mit sich. Die Problematik der Abstandsregeln wurde mit dem Format "Walk and Talk" an der frischen Luft gelöst, aber natürlich auch durch telefonische Beratung oder Videocalls. Doch in einem geschützten Beratungsraum, in dem Frau frei sprechen kann, baute sich ein Vertrauensverhältniss zwischen Klientin und Beraterin einfacher auf, als digital, so die beiden Fachfrauen. Außerdem gestalte sich der Kontakt besonders schwierig, wenn der gewaltbereite Partner permanent zuhause sei, von dem Gespräch mit einer Unterstützungsinstanz aber nichts mitbekommen dürfe. Oft sei darum gebeten worden, von Beraterinnenseite nicht anzurufen, sondern auf den Anruf der Klientin selbst zu warten, um die Frau nicht in Gefahr zu bringen. Weitere Ängste im Zusammenhang mit der Pandemie wären etwa, in der momentanen Situation keine neue Wohnung zu finden, oder eine Infizierung mit dem Virus: "Wir können nicht ins Frauenhaus, weil wir uns nicht anstecken wollen." Außerdem sei ein Anstieg in sexualisierter und digitaler Gewalt zu verzeichnen und es sei vermehrt zu Stalking und Übergriffen durch Internetbekanntschaften gekommen.

Die beiden Beraterinnen von SkF und SEFRA haben durch ihre langjährige Arbeit – in der sie ihre "Haltung zu Frau in der Gesellschaft" antreibe – schon viele Frauen hinaus aus der Beziehungsgewalt begleitet. Dabei müssen sie immer darauf achten, die Situation durch überstürzte Hilfeversuche oder Überforderung der Klientinnen nicht zu verschlimmern. Schließlich geht es darum, die Frauen zu schützen und ein Eskalaionsrisiko auszuschließen. Das sei auch wichtig für das solziale Umfeld der Betroffenen: Als Außenstehende*r mit dem möglicherweise oder auch erwiesenermaßen gewalttätigen Partner zu reden, könne die Betroffene möglicherweise in Gefahr bringen. Als Freund*in, Arbeitskolleg*in oder auch Vorgesetzte*r sei man die größte Hilfe, wenn man sich als Ansprechpartner zur Verfügung stelle. Mit einer klaren Haltung gegen Gewalt und durch das Aufzeigen der Möglichkeiten, die die Betroffenen haben – etwa der Kontakt zum SkF, zu SEFRA in 22 verschiedenen Sprachen oder über das Hilfetelefon in verschiedenen Sprachen, sogar mit Gebärdendolmetschung -, könne jede*r in dieser prekären Situation eine Stütze sein.

Juni/Juli 2021, Alina Renner